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Im Gespräch mit Morrissey


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Im Gespräch mit Morrissey »In früheren Zeiten hatten die Menschen die Folter. Jetzt haben sie die Presse«, schrieb Oscar Wilde in seinem brillanten Essay ‚Der Sozialismus und die Seele des Menschen‘. Weiter: »Gewiss, das ist ein Fortschritt. Aber es ist doch noch sehr schlimm und demoralisierend (…) Die Tyrannei, die er [der Journalismus, MPL], über das Privatleben der Menschen ausüben möchte, scheint mir ganz außerordentlich zu sein«, urteilte der irische Schriftsteller weise. Und er betonte: »Sie kommt daher, dass das Publikum eine unersättliche Neugier hat alles zu wissen, es sei denn das Wissenswerte.« Der britische Musikjournalist Len Brown hat eine Biographie über Morrissey geschrieben, in der er genau diesen Fehler nicht begeht. Er hätte eine populistische schreiben können. Eine auf den Erfolg getrimmte. Immerhin hat er im Laufe eines Vierteljahrhunderts Dutzende Male mit dem dandyistischen Ex-Smith gesprochen. Mal ein stundenlanges Interview. Mal auch nur auf ein Bier im Pub. Aber Len Brown war davor gefeit. »Als jemand, der einer Karriere als Musikkritiker bewusst abgeschworen und sich gegen eine Laufbahn im Dunstkreis der ‚Prominenz‘ entschieden hat, mangelt es mir zunächst vielleicht an der Arroganz und dem Selbstbewusstsein, das man braucht, um diese Geschichte zu erzählen«, schreibt er zu Beginn seines Buches ‚Im Gespräch mit Morrissey‘. Dass der Leser dem Autoren glauben darf, merkt er erst Seiten später. Der Biograph beobachtet eher, als dass er vorschnell urteilt. Brown findet über die anderen sogenannten Morrissey-Biographien ungewöhnlich deutliche Worte. Die meisten schienen von »geldgierigen Opportunisten, aufdringlichen Fans, schwulen Kavalieren oder findigen Internetsurfern zusammengeschrieben worden zu sein.« Len Browns biographische Annäherung ist deshalb so herausragend, weil sie so unvollkommen ist. Der Autor hat kein Motiv. Er will weder mit dem Buch reich oder berühmt werden. Noch erhebt er den Anspruch, die endgültige, maßgebliche Morrissey-Biographie vorzulegen. Len Brown sieht sich selbst als Journalist, als Zeuge und Berichterstatter. Diese heute ungewohnte Selbstzurücknahme verbunden mit dem Bewusstsein der eigenen Subjektivität lassen das Buch so angenehm erscheinen. Bisher wenig herausgearbeitet worden sind die Orientierungen, Vorbilder, Vorgänger, auf die sich der mittlerweile berühmte Musiker bezieht. Allen voran der vielleicht größte Dandy des 19. Jahrhunderts Oscar Wilde. Morrissey trifft sich mit dem Interviewer Brown an Stätten, an denen der 1900 verstorbene Schriftsteller Teile seiner Aura hinterlassen hat. Einem Dandy standesgemäß lockt ihn Morrissey ins Cadogan Hotel. Zimmer 118. Der Fahrstuhl ist so eng, dass sie gegenseitig ihren Atem spüren. Es ist das Zimmer, in dem am 5. April 1895 Oscar Wilde von zwei Polizeibeamten in Zivil festgenommen worden ist. Morrisseys lakonischer Kommentar zum verunsicherten Journalisten: »Das ist ein sehr historischer Ort, der mir bekanntlich sehr viel bedeutet (…) hier zu sitzen und Oscars Fernseher anzuschauen und genau den Videorekorder, auf dem er sich Leather Boys angesehen hat«, zitiert ihn Brown. Eindrucksvoll verdeutlicht Brown, wie subversiv sich Morrissey mit Oscar Wilde verbunden fühlt. Sichtbar wird die Selbstdisziplinierung eines Künstlers, der in wesentlichen Formatierungen einem historischen Vorbild folgt: Das eigene Leben als Kunstwerk. Das Leben als die größte Kunst, die es hervorzubringen gilt. Das Dasein als Dandy ist kein Zuckerschlecken. Es ist harte Fron. Will vom Alltäglichen in jedweder Handlung abgerungen sein. Morrissey weiß von der heimlichen Brüderschaft mit Punks und Mönchen. Das Buch ist nicht zuletzt so lesenswert, weil es ungewöhnlich substantiierte Verweise, Hinweise, spirituelle Verknüpfungen liefert. So wird der Autor nicht müde, im Werk des Musikers versteckte Hinweise auf den ironischen Provokateur Oscar Wilde zu suchen. Sie wirken keinesfalls erzwungen. Im Gegenteil sind sie ein Resultat des tiefen kulturellen Verständnisses des Biographen, der eigentlich gar keiner sein will. Seitenweise fallen ihm Bezüge zum Autoren von Das Bildnis des Dorian Grey ein. Sie gipfeln in einer Zeile Oscar Wildes, die sich gepresst in der Auslaufrille einer Vinyl-Schallplatte wiederfindet. Das Buch, das so nonchalant daherkommt und so Unglaubliches verbirgt, ist weit mehr als ein must-read lediglich für Morrissey-Fans. Es ist Zeugnis der kulturellen Verwurzelung eines Ausnahmekünstlers zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Angereichert ist der umfangreiche Text durch ein Verzeichnis von bedeutenden Menschen, an denen sich Morrissey orientiert, eine Übersicht der wichtigsten Songs von The Smiths und Morrissey und eine Diskographie.

»In früheren Zeiten hatten die Menschen die Folter. Jetzt haben sie die Presse«, schrieb Oscar Wilde in seinem brillanten Essay ‚Der Sozialismus und die Seele des Menschen‘. Weiter: »Gewiss, das ist ein Fortschritt. Aber es ist doch noch sehr schlimm und demoralisierend (…) Die Tyrannei, die er [der Journalismus, MPL], über das Privatleben der Menschen ausüben möchte, scheint mir ganz außerordentlich zu sein«, urteilte der irische Schriftsteller weise. Und er betonte: »Sie kommt daher, dass das Publikum eine unersättliche Neugier hat alles zu wissen, es sei denn das Wissenswerte.«

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


Der britische Musikjournalist Len Brown hat eine Biographie über Morrissey geschrieben, in der er genau diesen Fehler nicht begeht. Er hätte eine populistische schreiben können. Eine auf den Erfolg getrimmte. Immerhin hat er im Laufe eines Vierteljahrhunderts Dutzende Male mit dem dandyistischen Ex-Smith gesprochen. Mal ein stundenlanges Interview. Mal auch nur auf ein Bier im Pub.

Aber Len Brown war davor gefeit. »Als jemand, der einer Karriere als Musikkritiker bewusst abgeschworen und sich gegen eine Laufbahn im Dunstkreis der ‚Prominenz‘ entschieden hat, mangelt es mir zunächst vielleicht an der Arroganz und dem Selbstbewusstsein, das man braucht, um diese Geschichte zu erzählen«, schreibt er zu Beginn seines Buches ‚Im Gespräch mit Morrissey‘. Dass der Leser dem Autoren glauben darf, merkt er erst Seiten später. Der Biograph beobachtet eher, als dass er vorschnell urteilt. Brown findet über die anderen sogenannten Morrissey-Biographien ungewöhnlich deutliche Worte. Die meisten schienen von »geldgierigen Opportunisten, aufdringlichen Fans, schwulen Kavalieren oder findigen Internetsurfern zusammengeschrieben worden zu sein.«

Len Browns biographische Annäherung ist deshalb so herausragend, weil sie so unvollkommen ist. Der Autor hat kein Motiv. Er will weder mit dem Buch reich oder berühmt werden. Noch erhebt er den Anspruch, die endgültige, maßgebliche Morrissey-Biographie vorzulegen. Len Brown sieht sich selbst als Journalist, als Zeuge und Berichterstatter. Diese heute ungewohnte Selbstzurücknahme verbunden mit dem Bewusstsein der eigenen Subjektivität lassen das Buch so angenehm erscheinen.

Bisher wenig herausgearbeitet worden sind die Orientierungen, Vorbilder, Vorgänger, auf die sich der mittlerweile berühmte Musiker bezieht. Allen voran der vielleicht größte Dandy des 19. Jahrhunderts Oscar Wilde. Morrissey trifft sich mit dem Interviewer Brown an Stätten, an denen der 1900 verstorbene Schriftsteller Teile seiner Aura hinterlassen hat. Einem Dandy standesgemäß lockt ihn Morrissey ins Cadogan Hotel. Zimmer 118. Der Fahrstuhl ist so eng, dass sie gegenseitig ihren Atem spüren. Es ist das Zimmer, in dem am 5. April 1895 Oscar Wilde von zwei Polizeibeamten in Zivil festgenommen worden ist. Morrisseys lakonischer Kommentar zum verunsicherten Journalisten: »Das ist ein sehr historischer Ort, der mir bekanntlich sehr viel bedeutet (…) hier zu sitzen und Oscars Fernseher anzuschauen und genau den Videorekorder, auf dem er sich Leather Boys angesehen hat«, zitiert ihn Brown.

Eindrucksvoll verdeutlicht Brown, wie subversiv sich Morrissey mit Oscar Wilde verbunden fühlt. Sichtbar wird die Selbstdisziplinierung eines Künstlers, der in wesentlichen Formatierungen einem historischen Vorbild folgt: Das eigene Leben als Kunstwerk. Das Leben als die größte Kunst, die es hervorzubringen gilt. Das Dasein als Dandy ist kein Zuckerschlecken. Es ist harte Fron. Will vom Alltäglichen in jedweder Handlung abgerungen sein. Morrissey weiß von der heimlichen Brüderschaft mit Punks und Mönchen.

Das Buch ist nicht zuletzt so lesenswert, weil es ungewöhnlich substantiierte Verweise, Hinweise, spirituelle Verknüpfungen liefert. So wird der Autor nicht müde, im Werk des Musikers versteckte Hinweise auf den ironischen Provokateur Oscar Wilde zu suchen. Sie wirken keinesfalls erzwungen. Im Gegenteil sind sie ein Resultat des tiefen kulturellen Verständnisses des Biographen, der eigentlich gar keiner sein will. Seitenweise fallen ihm Bezüge zum Autoren von Das Bildnis des Dorian Grey ein. Sie gipfeln in einer Zeile Oscar Wildes, die sich gepresst in der Auslaufrille einer Vinyl-Schallplatte wiederfindet.

Das Buch, das so nonchalant daherkommt und so Unglaubliches verbirgt, ist weit mehr als ein must-read lediglich für Morrissey-Fans. Es ist Zeugnis der kulturellen Verwurzelung eines Ausnahmekünstlers zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Angereichert ist der umfangreiche Text durch ein Verzeichnis von bedeutenden Menschen, an denen sich Morrissey orientiert, eine Übersicht der wichtigsten Songs von The Smiths und Morrissey und eine Diskographie.

geschrieben am 21.01.2010 | 663 Wörter | 4016 Zeichen

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