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Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus: Verwaltung – Politik – Verbrechen


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Rezension von

Dr. Sebastian Felz

Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus: Verwaltung – Politik – Verbrechen Im April 2013 berief die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine internationale Kommission von Historikerinnen und Historikern, um die Geschichte des 1919 gegründeten Reichsarbeitsministeriums zu erforschen, der sechs renommierte internationale Historikerinnen und Historiker angehören: Prof. Dr. Alexander Nützenadel (HU Berlin, Sprecher), Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam), Prof. Dr. Elizabeth Harvey (University of Nottingham), Prof. Dr. Sandrine Kott (Université de Genève), Prof. Dr. Kiran Patel (Universiteit Maastricht) und Prof. Dr. Michael Wildt (HU Berlin). Im Sommer 2017 konnte der erste Band der Veröffentlichungen der Kommission zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles übergeben werden. Im Syntheseband werden die Forschungsergebnisse nun umfassend präsentiert. Die Arbeits- und Sozialpolitik spielte für das ideologische Selbstverständnis der NSDAP als Arbeiterpartei eine zentrale Rolle. Dies spiegelte sich auch in den vielfältigen Kompetenzen des Ministeriums wider. Diese erstreckten sich auf die Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik, auf den Arbeitsschutz und das Arbeitsrecht, die Sozialfürsorge und den gesamten Bereich der Sozialversicherungs- und Gesundheitspolitik. Hinzu kamen die Gewerbeaufsicht, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, das Reichsversicherungsamt sowie das Genossenschaftswesen. Schließlich gehörten Wohnungs- und Städtebau und das Siedlungswesen zu den größten Abteilungen des Ministeriums, das 1939 über 16 Abteilungen verfügte. Deutlich wird, dass die klassischen Verwaltungsapparate weitaus stärker in das NS-Regime und seine Verbrechen eingebunden waren, als es lange Zeit vermutet wurde. Die ministerielle Bürokratie kooperierte sogar eng mit den nationalsozialistischen Partei- und Sonderstäben. Der von wichtigen Historikern wie Martin Broszat und Hans Mommsen konzedierte Bedeutungsverlust des Staatsbeamtentums und der klassischen Bürokratie wird hier eindrucksvoll relativiert. Bei der Arbeits- und Sozialpolitik handelte es sich um ein Politikfeld, auf dem sich dem Regime vielfältige Möglichkeiten boten, um in seinem ideologischen Sinne erziehend, kontrollierend und disziplinierend in weite Bereiche der Gesellschaft einzugreifen. Die Bevölkerung im Deutschen Reich und später auch in den besetzten Gebieten Europas war massiv von den umfassenden staatlichen Interventionen und vom radikalen Umbau des deutschen Sozialstaates betroffen. Ulrike Schulz rekonstruiert die inneren Strukturen des Reichsarbeitsministeriums. Das 1919 gegründete Ministerium war ein modernes Fachministerium im Gegensatz zu den klassischen Ressorts, wie z. B. das Auswärtige Amt. Die Expansion des Wohlfahrts- und Interventionsstaates bis zur Weltwirtschaftskrise führte zu einem starken personellen Aufwuchs und finanziellen Mittelzuwachs. Ulrike Schulz verzeichnet eine hohe institutionelle und personelle Kontinuität über die Systemgrenze 1933 hinaus. Erst mit dem „Deutschen Beamtengesetz“ und der aufgehobenen Aufnahmesperre in die NSDAP 1937 erhöht sich die Anzahl der „Parteigenossen“. Anhand der „Ausbildung, Karrieren und Laufbahnstruktur der mittleren Beamtenschaft“ verdeutlicht Lisa-Maria Röhling wie die Verschiebung der praxisorientierten zur ideologischen Ausrichtung der Ausbildung im „Dritten Reich“ durchgeführt wurde. Das Verhältnis von Staatsbürokratie des Reichsarbeitsministeriums zur Parteibürokratie der „Deutschen Arbeitsfront“ analysiert Rüdiger Hachtmann und entdeckt neben mentalitätsgeprägten und generationsbedingten Unterschieden auch Gemeinsamkeiten in der Sache. Die Verhinderung einer organisierten Arbeiterschaft sowie der Wille dem Deutschen Reich eine Weltmachtstellung zu verschaffen, führten verbunden mit eugenischen und rassistischen Einstellungen zu einer nicht friktionsfreien, aber pragmatisch-funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Reichsarbeitsministerium und „Deutscher Arbeitsfront“. Einzelne politische Handlungsfelder wie Wohnungsbau (Karl Christian Führer), Rentenversicherung (Alexander Klimo), Arbeitsrecht (Sören Eden), Arbeitsverwaltung (Henry Marx) zeigen die vielfältigen Aufgaben des Reichsarbeitsministeriums in Zeiten der Aufrüstung und des Krieges. Das Reichsarbeitsministerium war ein Akteur auf einem Politikfeld, auf dem die „Deutsche Arbeitsfront“, der Reichsarbeitsdienst sowie die Vierjahresplanbehörde unter Göring mitspielten. Die „völkische“ Sozialordnung in ihrem europäischen Kontext betrachten Kiran Klaus Paetel und Sandrine Kott. Sie können zeigen, wie internationale Einflüsse aufgenommen wurden, gleichzeitig die eigene Sozial- und Arbeitspolitik als Teil der Auslandspropaganda benutzt wurde. Mit dem Zwangsarbeiterregime, dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz sowie dem Zusammenhang zwischen Arbeitsverwaltung und Holocaust beschäftigen sich die Beiträge von Elizabeth Harvey, Swantje Grewe und Michael Wildt. Im dritten Teil des Sammelbandes geht es schließlich um die nur untergeordnete Rolle der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums in den alliierten Kriegsverbrecherprozessen (Kim Christian Priemel). Martin Münzel blickt auf den Wiederaufbau der Arbeitsministerien in Ost und West. Wie auch schon in den anderen Studien zu Bundesoberbehörden und obersten Bundesbehörden zeigt sich auch im Bundesarbeitsministerium um 1960 ein sehr hoher Anteil an ehemaligen Parteigenossen in der obersten Mitarbeiterebene. Die Studien sind quellengesättigt, auf dem Stand der Forschung und durchgängig prägnant in Argumentation und Stil. Biographische Einzelfallstudien veranschaulichen nachvollziehbar administrative und politische Entwicklungen in den verschiedenen politischen Systemen. Den Autoren des Bandes „Das Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus“ gelingt es eindrucksvoll, die Anatomie einer Behörde in drei politischen Epochen darzustellen.

Im April 2013 berief die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine internationale Kommission von Historikerinnen und Historikern, um die Geschichte des 1919 gegründeten Reichsarbeitsministeriums zu erforschen, der sechs renommierte internationale Historikerinnen und Historiker angehören: Prof. Dr. Alexander Nützenadel (HU Berlin, Sprecher), Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam), Prof. Dr. Elizabeth Harvey (University of Nottingham), Prof. Dr. Sandrine Kott (Université de Genève), Prof. Dr. Kiran Patel (Universiteit Maastricht) und Prof. Dr. Michael Wildt (HU Berlin). Im Sommer 2017 konnte der erste Band der Veröffentlichungen der Kommission zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles übergeben werden.

Im Syntheseband werden die Forschungsergebnisse nun umfassend präsentiert. Die Arbeits- und Sozialpolitik spielte für das ideologische Selbstverständnis der NSDAP als Arbeiterpartei eine zentrale Rolle. Dies spiegelte sich auch in den vielfältigen Kompetenzen des Ministeriums wider. Diese erstreckten sich auf die Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik, auf den Arbeitsschutz und das Arbeitsrecht, die Sozialfürsorge und den gesamten Bereich der Sozialversicherungs- und Gesundheitspolitik. Hinzu kamen die Gewerbeaufsicht, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, das Reichsversicherungsamt sowie das Genossenschaftswesen. Schließlich gehörten Wohnungs- und Städtebau und das Siedlungswesen zu den größten Abteilungen des Ministeriums, das 1939 über 16 Abteilungen verfügte. Deutlich wird, dass die klassischen Verwaltungsapparate weitaus stärker in das NS-Regime und seine Verbrechen eingebunden waren, als es lange Zeit vermutet wurde. Die ministerielle Bürokratie kooperierte sogar eng mit den nationalsozialistischen Partei- und Sonderstäben. Der von wichtigen Historikern wie Martin Broszat und Hans Mommsen konzedierte Bedeutungsverlust des Staatsbeamtentums und der klassischen Bürokratie wird hier eindrucksvoll relativiert.

Bei der Arbeits- und Sozialpolitik handelte es sich um ein Politikfeld, auf dem sich dem Regime vielfältige Möglichkeiten boten, um in seinem ideologischen Sinne erziehend, kontrollierend und disziplinierend in weite Bereiche der Gesellschaft einzugreifen. Die Bevölkerung im Deutschen Reich und später auch in den besetzten Gebieten Europas war massiv von den umfassenden staatlichen Interventionen und vom radikalen Umbau des deutschen Sozialstaates betroffen.

Ulrike Schulz rekonstruiert die inneren Strukturen des Reichsarbeitsministeriums. Das 1919 gegründete Ministerium war ein modernes Fachministerium im Gegensatz zu den klassischen Ressorts, wie z. B. das Auswärtige Amt. Die Expansion des Wohlfahrts- und Interventionsstaates bis zur Weltwirtschaftskrise führte zu einem starken personellen Aufwuchs und finanziellen Mittelzuwachs. Ulrike Schulz verzeichnet eine hohe institutionelle und personelle Kontinuität über die Systemgrenze 1933 hinaus. Erst mit dem „Deutschen Beamtengesetz“ und der aufgehobenen Aufnahmesperre in die NSDAP 1937 erhöht sich die Anzahl der „Parteigenossen“. Anhand der „Ausbildung, Karrieren und Laufbahnstruktur der mittleren Beamtenschaft“ verdeutlicht Lisa-Maria Röhling wie die Verschiebung der praxisorientierten zur ideologischen Ausrichtung der Ausbildung im „Dritten Reich“ durchgeführt wurde. Das Verhältnis von Staatsbürokratie des Reichsarbeitsministeriums zur Parteibürokratie der „Deutschen Arbeitsfront“ analysiert Rüdiger Hachtmann und entdeckt neben mentalitätsgeprägten und generationsbedingten Unterschieden auch Gemeinsamkeiten in der Sache. Die Verhinderung einer organisierten Arbeiterschaft sowie der Wille dem Deutschen Reich eine Weltmachtstellung zu verschaffen, führten verbunden mit eugenischen und rassistischen Einstellungen zu einer nicht friktionsfreien, aber pragmatisch-funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Reichsarbeitsministerium und „Deutscher Arbeitsfront“.

Einzelne politische Handlungsfelder wie Wohnungsbau (Karl Christian Führer), Rentenversicherung (Alexander Klimo), Arbeitsrecht (Sören Eden), Arbeitsverwaltung (Henry Marx) zeigen die vielfältigen Aufgaben des Reichsarbeitsministeriums in Zeiten der Aufrüstung und des Krieges. Das Reichsarbeitsministerium war ein Akteur auf einem Politikfeld, auf dem die „Deutsche Arbeitsfront“, der Reichsarbeitsdienst sowie die Vierjahresplanbehörde unter Göring mitspielten.

Die „völkische“ Sozialordnung in ihrem europäischen Kontext betrachten Kiran Klaus Paetel und Sandrine Kott. Sie können zeigen, wie internationale Einflüsse aufgenommen wurden, gleichzeitig die eigene Sozial- und Arbeitspolitik als Teil der Auslandspropaganda benutzt wurde.

Mit dem Zwangsarbeiterregime, dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz sowie dem Zusammenhang zwischen Arbeitsverwaltung und Holocaust beschäftigen sich die Beiträge von Elizabeth Harvey, Swantje Grewe und Michael Wildt.

Im dritten Teil des Sammelbandes geht es schließlich um die nur untergeordnete Rolle der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums in den alliierten Kriegsverbrecherprozessen (Kim Christian Priemel). Martin Münzel blickt auf den Wiederaufbau der Arbeitsministerien in Ost und West. Wie auch schon in den anderen Studien zu Bundesoberbehörden und obersten Bundesbehörden zeigt sich auch im Bundesarbeitsministerium um 1960 ein sehr hoher Anteil an ehemaligen Parteigenossen in der obersten Mitarbeiterebene.

Die Studien sind quellengesättigt, auf dem Stand der Forschung und durchgängig prägnant in Argumentation und Stil. Biographische Einzelfallstudien veranschaulichen nachvollziehbar administrative und politische Entwicklungen in den verschiedenen politischen Systemen.

Den Autoren des Bandes „Das Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus“ gelingt es eindrucksvoll, die Anatomie einer Behörde in drei politischen Epochen darzustellen.

geschrieben am 13.11.2017 | 704 Wörter | 5206 Zeichen

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